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Foto: BLECH / Maier

Interviews

"Performance, Funktionalität und Zuverlässigkeit"

Auf dem Weg zur vernetzten Fertigung: Als CEO von Schuler legt Domenico Iacovelli den Schwerpunkt auf die Softwareentwicklung, ohne dabei das Mechanische zu vergessen.

Sie sind seit rund einem Jahr CEO bei Schuler, aber schon seit etwa zwei Jahren im Unternehmen. Was sind die wesentlichen Merkmale der Person Domenico Iacovelli?

Als Person würde ich mich als leidenschaftlichen ‚Bürzer‘ bezeichnen, was auf Deutsch so viel bedeutet wie Schaffer. Was ich mache, mache ich mit Passion.
Insgesamt habe ich einen technischen Background. Ich komme aus dem Anlagen- und Maschinenbau, habe selbst Anlagen gebaut, sprich die Software dazu geschrieben, und in Betrieb genommen. Ursprünglich komme ich sogar aus dem Handwerk und der Elektrik und habe mich über die Wirtschaftsinformatik bis zur BWL durchgearbeitet. Man kann sagen, ich habe das Geschäft von der Pike auf gelernt.
Im Anlagenbau bin ich dann sozusagen hängengeblieben, weil mich Automation, Robotik, Antriebstechnik fasziniert haben. Ich bin dann in verschiedenen Unternehmen gewachsen, habe Projektleitungen und später Bereichsleitungen für die Softwareentwicklung übernommen. Habe dann noch BWL studiert und bin dann ins Product Management und hatte dort sehr viel mit dem Vertrieb zu tun. Relativ jung kam ich dann in die Geschäftsleitung und wurde CEO beim Anlagenbauer Soutec Soudronic. Ich bin auch heute noch sehr nah dran an der Technik.
Schuler kenne ich schon aus meiner Zeit bei Soutec. Wir haben bei vielen Kunden zusammengearbeitet. Schuler war für die Entwicklung und den Bau von Schneid- und Umformpressen für Platinen zuständig, die dann auf den Anlagen von Soutec geschweißt wurden.

Vom Anlagenbauer zum Pressenbauer. Da treffen zwei Welten aufeinander. Pressenbauer haben eine ganz eigene Mentalität?

Da haben sie recht, es ist definitiv eine andere Mentalität bei den Pressenbauern. Aber ich habe gelernt, wie viel Wissen und Erfahrung in der Konstruktion und dem Bau einer Presse stecken. Ob es die Steifigkeit ist, die Materialisierung, die Dynamik oder die Wärmeeinflüsse in der Maschine: Das sind Spezialitäten, um die muss sich der normale Anlagen- und Maschinenbauer nicht kümmern. Das war mir so vor zwei Jahren nicht bewusst.
Heute bezeichne ich die Leute gerne als Pressenflüsterer, weil jede Presse für jede Anwendung sich irgendwie anders verhält und ganz spezielle Lösungen braucht. Man kann sich zwar mit Software und Simulationen den Ergebnissen nähern, aber im Endeffekt bringt das Zusammenwirken von Konstrukteuren, Ingenieuren, Monteuren eine Presse erst zum Funktionieren. Nehmen sie nur den Werkzeugbau als Beispiel: Da wird alles am PC berechnet und simuliert und zum Schluss bringen die Leute es mit einem Schleifpapier in der Hand und viel Gespür zum Laufen.

Haben Sie im Unternehmen schon Änderungen anstoßen können, die Ihre Handschrift tragen?

Was meine Handschrift tragen wird, ist definitiv eine strukturierte Softwareentwicklung in diesem Unternehmen. Die wird als Basis für unsere Digitalisierungsstrategie notwendig sein.
Wir sind ein Unternehmen, das ein mechanisches Konstrukt aus viel Stahl und Eisen baut, in dem mittlerweile sehr, sehr viel Software-Know-how ins Spiel kommt. Aber ich glaube, wir entwickeln und programmieren die Software heute zu einem Zeitpunkt, der zu spät ist. Die Software kommt zuletzt, wenn alles Mechanische gebaut ist. Die Inbetriebnahme scheint mir eigentlich die Software-Entwicklung zu sein. Ich kenne es vom Anlagenbau anders: Da wird die Software parallel zum Maschinenkonzept entwickelt und bei der Inbetriebnahme gibt es nur eine kurze Abstimmung. Das möchte ich in diesem Unternehmen auch so implementieren. Da sind wir auf dem Weg und wir haben die Firmenorganisation jetzt auch so aufgebaut, dass das passieren wird.

Können Sie das etwas konkreter beschreiben?

Wir haben jetzt einen Prozess eingeführt, wie man Software entwickelt. Wenn man eine Anlage konzipiert, machen die Konstrukteure zuerst einen Funktionsplan. Und bevor an Bits und Bytes gedacht wird, werden die Funktionen beschrieben. Im Grunde steht das komplette Softwarekonzept, bevor wir mit dem Programmieren beginnen. Und für die Programmierung der Software selbst geben wir noch Regeln vor, beispielsweise wie eine Variable beschriftet werden muss.
Mit diesen einfachen Werkzeugen bin ich überzeugt, dass man die Inbetriebnahmezeit softwaretechnisch auf die Hälfte reduzieren kann. Gleichzeitig verbessert sich die Lesbarkeit der Software. Mit den Funktionenbeschreibungen wird die Schrittkette transparent. So können Softwareleute auch in 20 Jahren noch die Software verstehen, wenn die heutigen Maschinen gewartet werden müssen. Mit diesen kleinen Schritten wollen wir zu einer standardisierten Software kommen. In den Entwicklungen für die neuen Produkten machen wir das auch schon.
Der Pressenbau ist zu komplex, als das wir auf die ‚Pressenflüsterer‘ verzichten könnten. Aber wir sollten standardisieren, wo wir standardisieren können. Und das ist bei der Software. Um die Vereinheitlichung durchzuziehen, haben wir seit gut einem halben Jahr eine Organisationsstruktur implementiert, in der die Softwareentwicklung direkt bei mir angehängt ist, und zwar zentral über die Divisionen hinweg.

Was bringt diese Art der Softwareentwicklung Ihren Kunden?

Die Kunden merken es direkt, weil die Inbetriebnahme kürzer wird und sie eine geprüfte Software erhalten. Unsere Mitarbeiter stehen nicht mehr solange mit dem Programmiergerät beim Kunden vor den aufgebauten Maschinen. Der Kunden kann also früher auf der Maschine produzieren und damit auch Geld generieren.
Und dann müssen Sie bedenken: Wir sind der größte Pressenbauer auf der Welt, was das Volumen anbelangt. Wir haben viele Kunden, die mehrere unserer Produkte einsetzen. Wenn wir für alle unsere Produkte dieselbe Steuerung benutzen und uns an diese Regeln halten, dann wird das insgesamt für den Kunden einfacher.

Gleiches Look-and-feel für alle Schuler-Produkte ist also das Ziel?

Das ist so. Aber nicht alleine, denn das Mechanische wollen wir dabei nicht vernachlässigen. Eigentlich zielt unsere Strategie darauf, die Digitalisierung zu stemmen. Und das Fundament dazu ist die Steuerung. Was heute an Antriebstechnik, Elektronik und Sensorik in den Maschinen verbaut ist und Daten liefert, ist immens. Wenn wir den Umgang damit in der Schuler-Gruppe vereinheitlichen, kann ich damit eine Digitalisierung aufbauen. Diesen ersten Schritt haben wir schon getan. Bei unseren neuen Produkten ist diese Basis vorhanden. Die Schwierigkeit ist es, die bestehenden Produkte umzustellen. Dafür haben wir einen Plan für die nächsten drei Jahre aufgestellt, wie unsere Produktstrategie aussehen wird.

Bekommen Ihre Kunden zukünftig nur noch Maschinen mit standardisierter Software?

Bei neuen Baureihen wie den MSP-Pressen wird das so sein. Bei den bestehenden Produktreihen müssen wir natürlich auch berücksichtigen, dass ein Pressenbetreiber, der vielleicht schon vier Pressen einer Baureihe hat, auch die fünfte mit der alten Steuerung haben möchte. Bei Generationswechseln allerdings werden auch die umgestellt.

Wie reagieren die Pressenbauer intern?

Wir werden auch in Zukunft Pressen bauen. Das wollen wir nicht ändern. Unsere ganze Strategie beruht darauf, unsere Kernkompetenz zu stärken und effektiv der beste Pessenbauer zu bleiben. Diese Position wollen wir in Bezug auf Performance, Funktionalität, Qualität, Service und Zuverlässigkeit ausbauen.
Früher hat der Mechaniker die Presse in Betrieb genommen. Heute sind es die Softwareingenieure, die mit ihren Programmiergeräten die Maschine zum Laufen bringen. Das ist Realität. Es geht darum, jetzt entsprechende Werkzeuge und eine Organisation zu schaffen, die diese neue Situation anerkennt.

Sie haben bei der Vorstellung der MSP das Ziel ausgegeben, die Nummer 1 im digitalisierten Pressenbau werden zu wollen.

Das sind zwei Aspekte. Einmal müssen wir auch als Unternehmen digitaler werden – und nicht nur das Produkt. Mit der Digitalisierung unserer eigenen Prozesse können wir die Manpower auf das konzentrieren, was uns Wertschöpfung bringt. Bei den Produkten muss man die Digitalisierung auf mehreren Ebenen aktiv entwickeln. Es fängt an bei Aktorik und Sensorik. Die Aktorik ist vorgegeben von den Funktionalitäten einer Maschine, die Sensorik können Sie beliebig erweitern. Wir bauen hier, wie viele andere auch, heute lieber einen Sensor zu viel als zu wenig ein. Da werden beispielsweise Stähle mit integrierten Sensoreigenschaften ganz neue Möglichkeiten eröffnen.

Die zweite Ebene ist die Steuerungsplattform mit den Möglichkeiten, die Daten herauszulesen – also Bussysteme, Speicher- und Kommunikationsmöglichkeiten. Hier spielt auch das HMI (Human Machine Interface) eine Rolle. Diese Ebene ist die Voraussetzung für die nächste Ebene, auf der es um die Anbindung geht. Denn um Nutzen aus den gewonnenen Daten zu ziehen, muss das System an eine Plattform angebunden sein. Hier hat Schuler eine eigene Plattform entwickelt, auf der die Anwender Apps nutzen können, ähnlich dem Apple-Portal. Dort können sie ihre Apps konfigurieren und auf dem Dashboard zusammenstellen, wie sie es brauchen. Auf allen Ebenen wollen wir ein entsprechendes Angebot aufstellen.

Ist das Presswerk, das Sie mit Porsche als Joint-Venture betreiben, dafür als Probierfeld gedacht?

Wir haben eine Vision und wir haben eine Herausforderung. Die Herausforderung ist: Wir liefern unsere Anlagen an Unternehmen, die einen sehr hohen Know-how-Schutz haben. Das gilt auch für die Digitalisierung – ganz gleich, ob es dabei um Preventive Maintenance oder Effizienzsteigerung geht. So stellen wir zwar Tools zur Optimierung der Anlagen durch Auswertung der Produktionsdaten zur Verfügung, können diese Tools selbst aber nicht optimieren, weil wir nicht an echte Produktionsdaten kommen. Beim OEM und bei jedem Kunden steht die IT-Security dagegen. Wo man sich früher per Modem in die Maschine einwählen konnte, müssen Sie heute schon einen Stapel Papiere ausfüllen, um überhaupt einen Firewall-Zugang für die Fernwartung zu kriegen. Beim Zugriff auf Produktionsdaten wird es noch aufwendiger.
Ohne Produktionsdaten können wir allerdings nicht den nächsten Schritt in der Digitalisierung machen. In dem gemeinsamen Presswerk mit Porsche haben wir eben diesen Zugriff auf alle Daten und werden dadurch unsere Digitalisierungsstrategie vollenden können. Nehmen wir als Beispiel künstliche Intelligenz. Um in diesem Feld einen Algorithmus zu programmieren und lernen zu lassen, brauchen Sie den Rücklauf der Daten, um damit zu arbeiten und Schlüsse zu ziehen. Das ist die Chance, die dieses Joint Venture bietet. Wir werden mit dem Presswerk sicher nicht in die Teilefertigung einsteigen. Wir treten nicht in Konkurrenz zu unseren Kunden, absolut nicht. Im Gegenteil, es soll all unseren Kunden einen Nutzen bringen.
Und wir werden in dem Presswerk herausragende neue Technologien in der Praxis erproben können, denn auch das wird immer schwieriger. Die Geschäftskonzepte unsere Kunden sind entweder auf eine sehr effiziente Fertigung mit hoher Produktivität ausgelegt, oder die Kunden sind preissensitiv und wollen zu geringst möglichen Kosten produzieren. Beides geht mit dem Erproben neuer Technologien schlecht zusammen.

Woran soll sich der Pressenkäufer orientieren, wenn er jetzt in eine Presse investieren will?

Der Pressenbetreiber kauft eine Presse und rechnet damit, dass er sie die nächsten 25 oder 30 Jahre wirtschaftlich laufen lassen kann. Damit das funktioniert, müssen die Voraussetzungen in fünf Aspekten stimmen: Performance, Funktionalität, Zuverlässigkeit, Qualität und Service. Wir haben in den letzten Jahren in dem einen oder anderen Bereich etwas nachgelassen, aber wir werden das aufholen. Wir werden hier wieder „Best in Class“ werden. Definitiv.

Digitalisierung haben Sie in der Liste jetzt nicht genannt. Ist sie kein Auswahlkriterium?

Die Digitalisierung ist eingebunden in all diesen Punkten. Ohne Digitalisierung wird es keine Steigerungen in der Performance geben. Ich werde in einer Pressenstraße die 18 Hub, die die Presse leisten kann, nur durch Digitalisierung realisieren können. Oder die Verfügbarkeit: Wenn ich mit künstlicher Intelligenz im Voraus erkenne, dass eine Presse ein Problem haben wird, dann wird es keinen Pressenstillstand geben. Das geht bis zum Service, wenn sie dort in Zukunft beispielsweise ein Ersatzteil bestellen, indem sie in Foto davon machen.

Allen Digitalisierungskonzepten zum Trotz hat Schuler angekündigt, wieder mechanische Pressen – also Pressen ohne Servoantrieb – zu bauen. Was hat es damit auf sich?

Das ist ein guter und wichtiger Punkt. Schuler hat sich stark auf die Servotechnologie konzentriert, aber unsere Kunden haben eigene Bedürfnissen und Ansprüche. Und ein Teil unserer Kundschaft will keine Servopressen. Diese Kunden haben beispielsweise vier mechanische Pressen in der Werkhalle stehen und wollen ihre Fertigung mit einer fünften mechanischen Presse erweitern.
Ich glaube, wir können mit unserem Know-how zudem die besten mechanischen Pressen bauen. Wir haben im Umfeld der Servotechnik sehr viel entwickelt in Sachen Leichtbau, Stabilität, Steifheit und so weiter. Alles Entwicklungen, die auch mechanischen Pressen zugutekommen können. Und fairerweise muss man eingestehen, dass es Anwendungen gibt, in denen eine Servopresse nicht sinnvoll ist. Darum haben wir beispielsweise auch noch hydraulische Pressen im Programm.
Aber wir sind natürlich sehr stolz auf unsere Servopressen. Und wir wollen die Nummer 1 bei der Servopressentechnik bleiben. Aber wir sprechen von einem globalen Markt und wir haben den Anspruch, weltweit die Produkte liefern zu können, die der Kunde braucht. Und deshalb werden wir wieder mechanische Pressen entwickeln. Dazu werden wir unser globales Setup nutzen. „Local for local“ wird dabei eine zentrale Rolle spielen, Cutting-Edge-Technologien für mechanische Pressen werden wir eher in China bauen, während in Deutschland der Servobereich bleiben wird. Verkauft werden alle Pressen aber weltweit.

Herr Iacovelli, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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