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Foto: Maucher

Robotik

Roboter als Bearbeitungsmaschine nutzen

Neue Möglichkeiten für Roboter: Wie aus herkömmlichen Industrierobotern präzise Bearbeitungsmaschinen mit acht interpolierenden Achsen werden.

Herkömmliche Industrieroboter haben sich bisher nur bedingt als Bearbeitungsmaschinen einsetzen lassen, da sie bahntreue Bewegungsmuster, wie sie bei Bearbeitungsprozessen notwendig sind, nicht ausführen können. Üblicherweise sind derartige Roboter darauf ausgelegt, Bewegungen von Punkt-zu-Punkt umzusetzen - ausreichend für Handlingaufgaben. Einem Team aus Robotik-Experten ist es gelungen, herkömmliche Roboter für solch komplexe Prozesse nutzbar zu machen – mittels optimierter Kinematik und digitaler Transformation. Dazu erarbeiteten und entwickelten sie in Zusammenarbeit mit Siemens, Comau und der Maucher Formenbau GmbH & Co. KG im Jahr 2018 erste Bearbeitungsroboter, die mit acht interpolierenden Achsen ausgestattet sind, sodass selbst zeitaufwendiges Teaching entfällt. Bereits ein Jahr später entstanden serienreife CNC-Roboter-basierte Bearbeitungsmaschinen, die bei der Maucher Formenbau GmbH & Co. KG in Meckenbeuren anspruchsvolle Arbeiten verrichten und Komponenten für die Automobilindustrie schnell und präzise bearbeiten. Durch den Einsatz der neuartigen CNC-R-Bearbeitungsmaschinen konnte das Produktionsvolumen deutlich gesteigert und Personal für andere Aufgaben abgezogen werden.

Seit Anfang des Jahres setzt die neu gegründete Maucher-CNC-Robotic GmbH diesen Ansatz fort und entwickelt schlüsselfertige Roboter-Bearbeitungsmaschinen für verschiedene Prozesse – beispielsweise für das Wasserstrahlschneiden, das Schweißen oder das Heften. Durch kontinuierliche Entwicklungsarbeit werden neue Einsatzfelder erschlossen.

Lange Erfahrung in Roboteranwendungen

„Wir arbeiten bereits seit längerer Zeit mit verschiedenen herkömmlichen Industrierobotern, erkannten aber sehr früh trotz der Einschränkungen bezüglich der Anwendungsbereiche sowie des notwendigen Teaching, dass diese Technik aufgrund ihrer extremen Verlässlichkeit dem Markt breit zugängig gemacht werden muss“, erklärt Peter Strittmatter Geschäftsführer der Maucher Formenbau GmbH & Co. KG. „Mit einem benachbarten Robotik-Unternehmen erarbeiteten wir gemeinsam erste Konzepte, wie die Roboter den Sprung vom Handling zur Bearbeitung schaffen können.“ Sie sollten durch ein neu konfiguriertes Steuerungskonzept zukünftig komplexe Bewegungen auch mit schwierigen Kanten bahngenau anstatt von Punkt-zu-Punkt abfahren und dabei direkt Bearbeitungsaufgaben wie Schweißen vollautomatisch übernehmen. Fortan bot der Automobilzulieferer mit seinen verschiedenen Bearbeitungsprozessen die Plattform für das ehrgeizige Projekt. Die enge und erfolgreiche Kooperation mit der heutigen BBS Beteiligungs GmbH mündete bereits nach kurzer Zeit in die Gründung der Maucher CNC-Robotic GmbH. „Als wir uns im Jahr 2018 mittels digitaler Transformation an die Lösung der Aufgabe machten, ahnten wir nicht, dass schon ein Jahr später serienreife CNC-Roboter Bearbeitungsmaschinen bei Maucher anspruchsvolle Arbeiten verrichten würden“, berichtet Dirk Brissé, Geschäftsführer der CNC-Robotic Maucher GmbH und der BBS Beteiligungs GmbH.

Zielgruppe sind kleine und mittlere Unternehmen

Eines der Hauptziele bei der weiterführenden Entwicklung war es, diese Technologie nicht nur für Großunternehmen interessant und erschwinglich zu machen, sondern auch für kleinere Unternehmen. Dazu musste die Roboter Kinematik durch Zusatzachsen erweitert werden und das Gesamtsystem gleichzeitig in der Bedienung vereinfacht werden, damit die aufwendigen Teaching-Prozesse entfallen konnten. Für flexible Fertigungsmöglichkeiten auch in kleinen Werkshallen, sollte die Anlage zudem möglichst platzsparend ausgelegt sein. „Um das alles zu gewährleisten, beziehen wir unsere Roboter und Zusatzachsen zunächst ohne Steuerung. So können wir in diese nackte 8-Achsen-Kinematik die Maschinensteuerung integrieren. erklärt Brissé das Grundkonzept. „Mit ihr ist es möglich, die Kinematik des Roboters interpolierbar mit zwei zusätzlichen Achsen in Absolutgenau und bahntreue Bewegungen zu bringen. Durch dieses erweiterte Bewegungsprofil werden Fertigungsprozesse möglich, die so bislang mit Robotern nicht realisierbar waren – beispielsweise Ultraschallschweißen oder Wasserstrahlschneiden.“

Anpassung aller Bearbeitungsparameter im digitalen Zwilling

Die Maschinen werden mit dem sehr gebräuchlichen G-Code programmiert. Dabei nutzen die Entwickler bei Maucher eigens entwickelte Postprozessoren, über die eine Verbindung zur CAM-Umgebung verschiedenster Hersteller erfolgt. So wird die Kompatibilität des neuen Kinematik-Konzept gewährleistet und Bearbeitungsprozesse lassen sich in einem Radius von bis zu 3,1 m umsetzen, unabhängig von der Herstellervorgabe. „Dabei findet die digitale Entwicklung sowie die Programmierung der Bauteile parallel zur eigentlichen Bearbeitung im CAM-System statt“, erklärt Brissé. „Somit sind rasche Bauteilwechsel, bis hin zur Losgröße 1, einfach und kostengünstig realisierbar.“ Aufgrund dieser flexiblen Programmierung können lange Stillstands-Zeiten auf ein Minimum reduziert werden, was wiederum zu einer optimierten Gesamtfertigung mit höherem Ausstoß führt.

Im digitalen Zwilling – als dem digitalen Abbild von Bauteil und Maschine – lassen sich dann sämtliche prozessrelevanten Daten sowie Bauteilparameter abbilden und bearbeiten. Hier erkennt der Programmierer auch mögliche Störkonturen, die zu einem Stillstand des Roboters führen könnten. „Selbst die wichtige und in Performance Level D ausgeführte Sicherheitstechnik der Gesamtmaschine ist im digitalen Zwilling abgebildet und informiert intuitiv schon während der Programmierung, was machbar und was nicht umsetzbar ist“, bestätigt Brissé. Dies erzeugt nicht nur ein Höchstmaß an Sicherheit, sondern bringt auch eine extreme Zeitersparnis etwa beim Umrüsten der Maschinen. Durch diese hohe Programmierfreiheit können beispielsweise Wasserstrahl-Vorrichtungen vereinfacht und kostengünstiger umgesetzt werden, da die hohe Achsenzahl eine wesentlich bessere Zugänglichkeit ermöglicht.

Einfache Einbindung der Roboter ins Betriebs-Intranet möglich

Wesentliche Faktoren während der gesamten Entwicklungsphase bildeten neben einer flexiblen Programmierung der Maschinen vor allem die Digitalisierung und Verschmelzung des klassischen Maschinenbaus mit Informationstechnologien. Dazu gehörten auch der Einsatz innovativer Steuerungen besonders in Bezug auf Vernetzung, Ferndiagnose und Fehlererkennung bis zur Ebene der Feldgeräte (beispielsweise Sensoren oder Aktoren). „Um die Bearbeitung in Gang zu setzen, schickt der Programmierer nun einfach über das Intranet seines Unternehmens den Betriebsauftrag nebst dem eigentlichen Programm zur Maschine. Dieser wird von der Maschine mittels Barcodeleser mit dem geladenen Programm verglichen“, so Brissé. „Eine falsche Programmwahl ist damit ausgeschlossen. Maschine und Programmierer überprüfen sich auf diese Weise noch einmal gegenseitig.“ Im weiteren Verlauf werden die aufgespannten Vorrichtungen mittels RFID abgeglichen. Dabei werden Nullpunktverschiebungen vollautomatisch erkannt. Das Teaching entfällt komplett. Somit kann sich der Maschinenbediener vollkommen um die Bestückung der Anlage, die Sicht- und Qualitätsprüfung der Bauteile konzentrieren und verfügt über zusätzliche Zeit für andere Aufgaben.

Um auch den Einsatz in kleineren Fertigungsunternehmen zu ermöglichen, wurden die CNC-R-Bearbeitungsmaschinen so ausgelegt, dass sie kaum Produktionsfläche beanspruchen. Damit dies nicht zur Verkleinerung des Bearbeitungsraumes führt, wurde der Roboter auf einen Sockel gesetzt, der frei positionierbar entlang der Bearbeitungszelle angeflanscht werden kann. Eine Verschraubung mit dem Hallenboden ist aufgrund der Konstruktion nicht notwendig. Zudem sind die Roboterzellen so dimensioniert, dass sie Standard-LKW-Maßen entsprechen, um einen einfachen Transport sicherzustellen. „Wir nehmen die beauftragten CNC-R-Bearbeitungsmaschinen im Werk Friedrichshafen komplett in Betrieb und stellen die Funktionalität sicher“, erklärt Brissé. „Der Aufbau inklusive Inbetriebnahme beim Kunden kann dann, im Gegensatz zu herkömmlichen Roboteranlagen, innerhalb weniger Tage erfolgen.“ Das Unternehmen bietet zudem Schulungen im eigenen Haus zur Bedienung der Roboter an. Mitarbeiter, die im Vorfeld schon Kontakt mit der G-Code Programmierung hatten, sind innerhalb weniger Stunden an den neuen Maschinen einsetzbar.

Dauerhafter Einsatz der Roboter bei Maucher Formenbau

Die neuen CNC-Roboter sind modular aufgebaut und können für verschiedenste Aufgaben vordefiniert werden. Bei der Maucher Formenbau GmbH & Co. KG sind bereits mehrere der neuen Maschinen im Einsatz. „Im ersten Projekt wurde mit der neuen CNC-R-Bearbeitungsmaschine das Reinwasserstrahlschneiden bei Drücken um 4000 bar für Fahrzeuginterieur-Teile mit bis zu 2,6m Länge und 1,6m Breite umgesetzt“, berichtet Strittmatter. „In kürzester Zeit konnte mit dieser 7-Achsen-Bearbeitungsmaschine (Roboter in Kombination mit interpolierendem Wendetisch) 30 Prozent Taktzeit gegenüber einer 5-Achsmaschine eingespart werden, ohne dabei Qualitätseinbußen verzeichnen zu müssen.“ Ausschlaggebend dafür waren unter anderem die präzisere Bearbeitungsmöglichkeit und der erweiterte Bewegungsradius. Dabei konnten die Anlagen durch die räumliche Anordnung von zwei weiteren Bearbeitungszellen mit jeweils einem Drehtisch und einem mittig angeordneten Roboter von einem Maschinenbediener beschickt werden. Auf diese Weise wurde die Produktionsflächennutzung zu vergleichbaren Maschinen nahezu halbiert.

Als zweites Projekt wurde eine CNC-R-gesteuerte Klebe-Klettmontage-Anlage realisiert. Darauf werden unterschiedlichste Fahrzeuginterieur-Teile mit Klettband der Firma 3M bestückt, wodurch diese im Fahrzeug auf einfachste Weise montiert werden können. „Heutzutage werden Innenraumteile immer häufiger durch diese neue Verbindungsart in Fahrzeugen verbaut, da der verwendete Kleber in Kombination mit dem Klett Temperaturunterschiede perfekt ausgleichen kann“, so Strittmatter. Zudem entsteht zwischen Karosserie und Innenraum keine Lärmbrücke und Vibrationen werden komplett absorbiert. Der Prozess läuft dabei in den folgenden Bearbeitungsschritten ab, die der Roboter vollautomatisch umsetzen kann. Zu Beginn wird das Klebegranulat erwärmt und der flüssige Kleber über einen Kanal entlang des Arms gefördert. Auch der Klett wird abgerollt und in Richtung Bauteil gefördert. Der Roboter bringt zunächst den Kleber entlang einer vordefinierten Position und anschließend den Klett auf das Bauteil auf. Der Klett wird auf variable beziehungsweise vordefinierte Längen abgeschnitten und mit definierter Kraft angedrückt. Diese Schritte mussten bisher teilweise händisch unter hohem Aufwand umgesetzt werden, da ein herkömmlicher Roboter dies in vollem Umfang nicht leisten konnte. „Auch hier zeigten sich sehr schnell die Vorteile der einfachen Programmierung. Früher hätte jedes Bauteil für sich schon viele Stunden beim Teaching verschlungen“, berichtet Strittmatter. „Diese Arbeiten werden nun vollständig in die Nebenzeit und dezentral weg von der Maschine erledigt.“

Diese zwei Anwendungsbeispiele stellen nur einen Bruchteil der möglichen Einsatzbereiche dar, denn die CNC-R-Bearbeitungsmaschinen basieren auf einem speziell entwickelten Baukastensystem und sind jederzeit erweiterbar. Aktuell arbeitet die Maucher CNC-Robotic GmbH etwa an weiteren Prozessen im Bereich Ultraschallschweißen, Heften und Dosieren. „Durch die hohe Flexibilität der Maschinen und die sich daraus ergebenen Möglichkeiten sind der Prozessvielfalt kaum Grenzen gesetzt. Fast täglich kommen neue Ideen und Ansätze hinzu“, resümiert Brissé.

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